Für Serien muss bei mir wirklich alles passen, damit ich überhaupt die Motivation habe, über mehrere Staffeln jahrelang dranzubleiben. Die Story muss mich fesseln, die Figuren sollten interessant sein, eine gewisse eigene Atmosphäre muss vorherrschen und audiovisuell sollte es auch überzeugen. In der Coming-of-Age-Teen-Drama-Highschool-Serie EUPHORIA (produziert von A24/HBO) habe ich all das gefunden.
Der Basisplot basiert dabei auf einer israelischen TV-Miniserie mit demselben Titel. Im Mittelpunkt steht die anfangs 17-Jährige Rue, die nach einem Drogenabsturz und Rehab-Aufenthalt wieder zurück zu ihrer Schwester und Mutter kommt und erstmal versuchen muss mit dem Leben wieder klarzukommen und nicht wieder abzurutschen. Thematisch pendelt die Serie zwischen Sucht, Drogen, Sexualität, Selbstbestimmung und Mental Health, alles mit leicht überzeichneten Charakteren an einer amerikanischen Highschool. Der Mann hinter der Show, Sam Levinson, der früher selber drogensüchtig war, hat vieles aus seiner Geschichte in die Serie und in die Hauptfigur Rue gesteckt. Mittlerweile existieren zwei Staffeln und für mich passt hier einfach alles, von der künstlerischen Vision bis hin zu den psychisch-faszinierenden Figuren.
Triggerwarnung: Die Serie hat nicht ohne Grund eine Altersempfehlung ab 16 Jahren. Thematisiert und gezeigt werden Mental Health Probleme, Drogensucht und -konsum, Gewalt, Nacktheit, sexueller Content und das alles nicht zu knapp. Achja und Red Flags everywhere. Die zweite Staffel dreht dahingehend noch etwas mehr auf und startet auch direkt mit WTF-Momenten, Blut und offenen Wunden. Selbst Zendaya hat eine Triggerwarnung ausgesprochen.
Die Erzählweise
Die Handlung von Euphoria wird aus der Sicht von Rue erzählt, die ihre Gedanken aus dem Off beiträgt und verschiedene Szenen einleitet. Mit ihrer Drogengeschichte sollte klar sein, dass sie eine unzuverlässige Erzählerin ist und man nicht unbedingt jedes Bild glauben darf. Auch springt die Handlung gerne mal etwas. In den ersten sieben Minuten der Serie bekommen wir einen Recap von ihrer Story zu sehen, bevor in den weiteren Folgen anfangs Backstorys jeweils eines Charakters von ihr beschrieben werden.
Man kann ja schon erahnen, dass Rue die Drogen nicht einfach ignorieren kann. Spannend finde ich hier die Auswirkungen auf ihr Umfeld (Familie und Freund:innen) und die damit verbundenen Konsequenzen. Auch psychologisch lässt sich hier einiges ergründen. Nebenbei machen sich noch weitere Nebenhandlungen auf und die einzelnen Figuren bekommen eigene kleine Geschichten und Entwicklungen, die es zum Teil sehr in sich haben. Auch hat das Drehbuch in vielen Episoden echt clevere Einfälle: Der One-Direction-Fanfiction-Moment in Episode Drei, der One-Shot während eines Jahrmarktes, die Powerpoint-Präsentation über Dick-Pics, die siebte Episode als Beispiel, wie sich Depressionen auswirken können oder der Einsatz von Lordes "Liability" in Jules Spezialfolge.
Ja, wir haben es hier mit einer Teen-Serie zu tun und sie folgt auch manchmal gewissen Klischees, aber in deutlich bestimmterer und direkterer Art. Alles sehr roh, ohne etwas zu beschönigen. So viel Konsum von Alkohol, Drogen, dem Zeigen von Nacktheit oder der exorbitanten Anzahl an Penissen habt ihr noch nie in einer Fernsehsendung gesehen. Ebenfalls wird Sexualität in vielen Formen (Sex, LGBTQ, Fetisch) auch recht explizit gezeigt.
Ein Wandel von Staffel 1 zu 2
Ich habe ein bisschen gebraucht, um in die Serie hineinzufinden, weil doch viele Charaktere vorgestellt werden und man erst nach 2-3 Folgen die Verbindungen erkennt. Gerade in Folge 4, mit den Ereignissen auf einem Jahrmarkt, nimmt es richtig an Fahrt auf. Die erste Staffel endet an einem Höhepunkt oder eben Tiefpunkt, je nachdem wie man es betrachten möchte. Aufgrund der Pandemie verzögerte sich die zweite Staffel doch länger als geplant. Während der Zeit hat das Team zwei Spezial-Episoden gedreht. In der ersten trifft sich Rue mit ihrem Mentor Ali, in der zweiten Rues neue beste Freundin Jules mit ihrer Therapeutin. Beide sind ähnlich minimal aufgebaut und konzentrieren ihre Dialoge auf das Innenleben der beiden Charaktere, was mir sehr gut gefallen hat, weil hier nochmal deutlich tiefer in der Psyche der beiden gegraben wurde.
Die zweite Staffel wird dann sehr wild. Wir steigen noch tiefer in die Drogenunterwelt ein, es wird brutaler und dreht an vielen Stellen etwas sehr frei. Der melancholische Vibe, den ich so an der ersten Staffel mochte, ist mir dabei leider etwas verloren gegangen. Ich müsste die zweite Staffel aber noch ein weiteres Mal sehen, um das nochmals auf mich wirken zu lassen. Immerhin bekommt die 'beste' Freundin von Rue und meine Lieblingsfigur Lexi deutlich mehr Platz zur Entfaltung. Zudem münden einige lose Enden der ersten Staffel in ein großes Finale.
Toller Cast
Zunächst sei einmal das Casting-Team zu loben, das hier einen sehr guten Job gemacht hat. Einige der Schauspieler:innen sind in ihren ersten Rollen zu sehen und fast alle stehen noch am Anfang ihrer Karriere. Keine Person fällt hier aus der Reihe, alle verkörpern ihre Figuren außerordentlich gut. Allen voran Zendaya, die 'Rue' spielt, als wäre ihr das alles selber so passiert. Die schelmischen Blicke, ihr Acting im Rausch, einfach ihr gesamtes Auftreten wirkt so glaubwürdig und hierfür gab es zurecht einen Emmy.
Hunter Schafer als 'Jules' und Angus Cloud als 'Fezco' spielen hier ihre allerersten Rollen überhaupt! Maude Apatow spielt 'Lexi' und bekommt in der zweiten Staffel deutlich mehr Screentime. Leider geht das auch auf Kosten anderer Charaktere, deren eigene Storyarcs nur teilweise voranschreiten. Das hat allerdings auch damit zu tun, dass die Serie eben aus der Sicht von Rue erzählt wird. Dabei sind auch Sydney Sweeney, Alexa Demie, Jacob Elordi, Eric Dane, Barbie Ferreira, Colman Domingo, die ihre Figuren ebenfalls bestens ausfüllen.
Audiovisuell überzeugend
Nicht nur die Thematik, auch die Präsentation ebendieser hat mich absolut beeindruckt. Was in den audiovisuellen Bereichen an Arbeit investiert wurde, fand ich für eine Serie überraschend. Erst einmal der Look, der mit seinen unterschiedlichen Lichtstimmungen auffällt. Mal sind die Bilder Sonnenlicht-geflutet überstrahlt und es entsteht eine träumerische, trippy Atmosphäre. Im Gegensatz dazu stehen in melancholische Dämmerung getauchte blau-lila Bilder. Unterstützt wird der Rausch auch noch durch immersive und unübliche Kamerafahrten und kreative Übergänge, die ich so auch noch nie gesehen habe. In einer von unten gefilmten Szenen denkt man ein Charakter steht an einem Abgrund und will sich umbringen; dabei ist es eine Szene in der sich die Person Hilfe verschafft und auf etwas in ihrer Hand schaut.
Musik ist mir ebenso wichtig, wie das Optische. Für den Soundtrack zeichnete sich der britische R’n’B Künstler Labrinth verantwortlich, welcher die Serie in ihrem Kunstwerk erst komplettiert. Die längeren Stücke sind allesamt so unique und stehen quasi für ihr eigenes Genre. Könnte ich mir stundenlang anhören, so gut ist das.
Spannend ist vor allem der Einsatz des Songs "All For Us" (feat. Zendaya), der immer angespielt wird, wenn Rue wieder kurz vor einem Drogentrip oder Breakdown steht. Je näher sie einem Tiefpunkt kommt, desto mehr wird von dem Song preisgegeben. Achtet mal drauf. In der zweiten Staffel gibt es wieder so einen Song.
Auch spielt allgemein popkulturelle Musik eine wichtige Rolle, die in Hülle und Fülle über die Bilder gelegt wird. In der offiziellen Playlist auf Spotify sind nach den 18 Folgen mittlerweile 247 Songs gelistet.
Euphoria, ein Serienhit
Die Serie konnte jetzt mit Staffel 2 einen noch größeren Hype auch auf den sozialen Netzwerken generieren. Auf HBO ist Euphoria nach Game of Thrones jetzt die zweitmeistgesehen Serie des Senders. Schon vor dem Ende der zweiten Staffel wurde grünes Licht für eine dritte gegeben. Mich hat das alles komplett abgeholt und emotional teilweise sehr mitgenommen und ich freue mich schon auf mindestens eine weitere Staffel. In der letzten Folge werden auch ein paar Hinweise gestreut, wie es mit Rue weitergehen könnte. Hier in Deutschland könnt ihr Euphoria über Sky schauen (Sky Ticket Entertainment (keine Werbung) ist die Serien-Abteilung und bekommt ihr für monatlich kündbare 9,99€). Die deutsche Synchronisation sollte seit heute ebenfalls verfügbar sein.
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