Ich bin mal wieder auf einen kleinen Indie-Film aufmerksam geworden, der mir außerordentlich gut gefallen hat: Shiva Baby. Eine skurrile Komödie, die einem den Horror einer Feier, auf der man nicht sein will, näher bringt. Regie führte die Kanadierin Emma Seligman. Als Vorlage diente ihr gleichnamiger Kurzfilm (lässt sich kostenlos bei Vimeo ansehen), den Seligman in ihrer Zeit als Filmstudentin an der NYU als Thesisarbeit anfertigte. Premiere feierte der Film schon im letzten Jahr auf dem SXSW und wurde auch auf dem Toronto International Film Festival gezeigt. Seit dem 11.06.21 ist er nun exklusiv beim Streaminganbieter MUBI zu sehen (in der Originalsprache Englisch, wahlweise mit Untertiteln). Ein spannendes Kammerspiel, das zeigt, wie eine Familienfeier für eine junge, jüdische, bisexuelle Frau, die noch nicht so richtig weiß wohin mit ihrem Leben, so richtig unangenehm werden kann.
Coming-of-Age-Thriller-Komödie
Der Plot ist zwar simpel, reicht aber vollkommen aus, um die 77 Minuten Spielzeit zu füllen. Im Opening sieht man Danielle (gespielt von Rachel Sennott) und ihren Sugar Daddy Max (gespielt von Danny Deferrari) beim Sex. Danielle ist eine junge Senior-Collegestudentin, die noch nicht so richtig weiß, was sie im Leben machen möchte. Auf einer Schiwa (eine jüdische Trauerveranstaltung; bzw. eine Woche der Trauer), die sie gemeinsam mit ihren Eltern besucht, trifft sie u. a. ihre erfolgreiche Ex-Freundin Maya (Molly Gordon (kennt man bspw. aus Booksmart)) und besagten Sugar Daddy Max. Dianna Agron (bekannt aus der Fernsehserie Glee) ist ebenfalls mit dabei. Daraus entspinnt sich eine nervenaufreibende Story, die beim Entfalten immer unangenehmer zu schauen wird.
Der Trailer vermittelt den Eindruck, dass einen ein Thriller erwartet, ganz so ist es aber nicht. "Lady Bird trifft Alfred Hitchcock" habe ich irgendwo gelesen und ganz so abwegig ist das gar nicht. Shiva Baby ist im Herzen ein Coming-of-Age-Film, der mit Horror-Elementen spielt, um den Stress, den die Protagonisten auf der Feier erfährt, wiederzugeben. Hierbei sind vor allem Kameraarbeit und Schnitt hervorzuheben. Die klaustrophobischen Szenen auf der Partie, zwischen all den Menschen, wo die Kamera sich nur auf das Gesicht von Danielle fokussiert, sind teilweise schon sehr fesselnd. Auch die Musik von Ariel Marx trägt mit gezupften Geigen ferner zum beklemmenden Erlebnis bei.
Das Skript hat ebenfalls eine paar Einfälle, um mit kleinen Details, die Situation noch peinlich-unangenehmer werden zu lassen. Auch die ganzen Dialoge wirken wie kleine Messerstiche. Wie die Eltern sie betüddeln und bevormunden und am liebsten noch auf der Party verheiraten möchten oder die Familienmitglieder, vor denen sie sich dauerhaft für ihre Zukunft oder ihr Gewicht rechtfertigen muss.
Rachel Sennot spielt das alles ganz ganz toll. Manchmal verharrt die Kamera auf ihrem Gesicht, während sich verschwommen im Hintergrund eine Szene abspielt. So erfahren die Zuschauenden hautnah die Reaktion von ihr, mit all dem Stress und der Nervosität. Auch die Chemie zwischen ihr und Molly Gordon stimmt. Der Rest des Castings (auch der Tanten und der Familie) trägt ebenfalls sehr zur Atmosphäre des Films bei.
Beachtenswertes Debütwerk
Emma Seligmann hat hier ein beachtenswertes Debütwerk hingelegt, welches zurecht von allen Seiten viel Lob abbekommt. Ich habe letztens Uncut Gems (mit Adam Sandler auf Netflix) gesehen und vom Stress- und Spannungsfaktor her, geht auch Shiva Baby in die Richtung. Übergeordnete Themen wie Emanzipation und Selbstfindung finden in dem kurzen Film auch genügend Platz.
Ein weiterer Film von Emma Seligmann mit Rachel Sennott ist bereits in der Mache und trägt den Arbeitstitel "Bottoms". Auch der Inhalt klingt vielversprechend: "Follows two unpopular queer girls who start a fight club to have sex before their high school graduation." Habe ich Bock drauf und bin gespannt, was uns in Zukunft noch von ihr erwartet. Shiva Baby kann man sich nun bei MUBI anschauen.
Was ist MUBI? (#notsponsered)
Eine gute Frage, die ich mir auch gestellt habe, als ich vor ein paar Wochen beim "Zwei wie Pech und Schwafel" Podcast von David Hain und Robert Hofmann zum ersten Mal davon gehört habe. MUBI ist in erster Linie Streaminganbieter (aber auch Produktionsfirma und Filmverleih), der eher Klassiker, Arthouse, Nischen- und Festivalfilme in sein Programm aufnimmt. Täglich kommt ein neuer, handverlesener Film ins Programm, welches momentan über 1100 Filme für euch bereit hält. Soweit ich gesehen habe, gibt es die Filme immer in Originalsprache wahlweise mit Untertitel, manchmal auch auf Deutsch. Die Mitgliedschaft kostet 9,99€/Monat (oder 71,88€/12 Monate; wer im Netz ein wenig schaut, bekommt aber auch über 12 Monate kostenlos). Es gibt Apps für die gängigen Geräte, ich habe bisher aber nur über den Browser geschaut und da ist mir nichts negatives aufgefallen. Zudem hängt an MUBI noch eine Art soziales Netzwerk dran, um sich über Filme auszutauschen und ein tägliches Filmmagazin namens Notebook gibt es ebenfalls.
Hier mal eine Auswahl an Highlights, die ihr Stand heute (15.06.2021) dort abrufen könnt: Fight Club von David Fincher, M von Fritz Lang, einige Filme der französischen Filmemacherin Agnès Varda, Songs My Brothers Taught Me von der frisch gebackenen Oscar-Gewinnerin Chloé Zhao oder Incendies ein früherer Film von Denis Villeneuve. Lohnt sich insgesamt nicht für alle, aber diejenigen, die sich tiefergehend für Filme interessieren, könnten hier für sich eine Goldgrube finden.
Weiterlesen:
- Gruppenbild mit Sugardaddy (Anke Sterneborg, Sueddeutsche.de)
- Meet the Young Queer Director Behind Shiva Baby (Matthew Jacobs, www.thecut.com)
- SHIVA BABY (Mubi.com)
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