Es ist kaum zu glauben, aber Steven Spielberg hat während seiner langen Karriere noch nie einen Musicalfilm gemacht. Das sollte sich nun ändern. Nachdem er sich im Alter von zehn Jahren das erste Mal das Album zu West Side Story anhörte, hat ihn das Musical nicht mehr losgelassen. 60 Jahre nach der Erstverfilmung folgt nun seine Version auf den Leinwänden der Welt und für 2,5 Stunden werdet ihr ins New York der 1950er Jahre entführt, mitten durch Streitereien zweier rivalisierender Banden, hinein in ein Liebesgeschichte. So opulent, so bunt, so dynamisch, so lebendig. Die Leidenschaft mit der hier gearbeitet wurde, spürt man in allen Filmkörnern und so wurde West Side Story zu einem berauschenden Seherlebnis, das mich begeistert hat.
Bandenkrieg und Liebe
Im Broadway Klassiker von Leonard Bernstein (Musik), Stephen Sondheim (Lyrics) und Arthur Laurents (Buch) stehen sich in New York der 1950er zwei rivalisierende ethnische Gangs gegenüber: die US-amerikanischen Jets, angeführt von Riff und die puerto-ricanischen Sharks, angeführt von Bernardo. Mittendrin entspinnt sich eine Liebesgeschichte zwischen dem ehemaligen Anführer der Jets "Tony" und der Puerto-Ricanerin "Maria", der Schwester von Bernardo, wodurch sich die Spannungen der beiden Gruppen nur noch weiter verstärkt. Heruntergebrochen ist es angelehnt an die Shakespeare-Tragödie "Romeo und Julia".
Meistermann Steven Spielberg
Ein Vergleich mit der Filmversion von 1961 ist natürlich sinnvoll, obwohl auch der Film erstaunlich gut gealtert ist und heutzutage noch immer modern aussieht. Auch dort stachen die Kamerafahrten und die Ensembleleistung sehr heraus. Allerdings fühlt es sich mehr an, wie eine Theaterinszenierung in einem leeren New York. In der Version von 2021 fühlt sich alles deutlich lebendiger an. Die Straßen sind bevölkert, es gibt deutlich mehr Setpieces und kleineren Ideen und alles ist einfach mit der fünffachen Größe inszeniert worden. Die Reihenfolge der Szenen wurde etwas geändert und auch einige (politisch) bissigere Kommentare mehr schafften es ins Skript. Auch das Sounddesign kommt deutlich druckvoller und düsterer daher.
Bei dem Namen Steven Spielberg kann man natürlich auch einiges erwarten und er liefert so was von ab. Zwischenzeitlich ist es schlichtweg atemberaubend, was er mit seinem langjährigen Kameramann Janusz Kamiński für Szenen kreiert. Nicht nur die typischen langen Takes und die weiten Kameraeinstellungen sind beeindruckend. Auch alles andere. Die Machart wirkt wie aus der damaligen Zeit und die Choreographien sind großartig. Ein kleiner Kritikpunkt von mir wäre, dass einige Sets durch die Lichtsetzung manchmal etwas unnatürlich wirkten.
(Tanz-)Choreographien vom Feinsten
Schon im ersten Drittel kommt man bei der Ballszene in der Turnhalle nicht mehr aus dem Staunen heraus. Wie die Kamera langsam über das Geschehen fliegt, sich dreht und wieder zu den Protagonist:innen zurückkommt, während im Hintergrund Hunderte an Darsteller:innen am wuseln sind, ist fast schon magisch. Dort erblicken sich Maria und Tony das erste Mal. Ebenfalls toll. Aber auch einige einzelne Bilde sind wunderschön. Es gibt eine Szene, in der Ansel Elgorts Figur "Tony" in einer Pfütze vor dem Haus mit der Wohnung von Maria steht. Falls ihr den Film euch mal anschaut, werdet ihr wissen was ich meine.
Die beste Sequenz gibt es zu "America". Das Musikstück an sich ist schon fantastisch, aber verbunden mit der Choreographie, die heraus auf die Straßen getragen wird, bereitete mir massivste Gänsehaut und dieses High-Gefühl im Kino. Meine Augen klebten förmlich auf der Leinwand.
Das Ensemble
Was wäre ein Musicalfilm ohne ein Ensemble, das sein Handwerk versteht und hallelujah waren da einige herausstechende Leistungen dabei. Vom Gesang und Tanz verstanden sie alle etwas und dahingehend ist mir nichts negativ aufgefallen. Die Figur "Tony", gespielt von Ansel Elgort, wirkte etwas hölzern, was sich aber ab der Mitte noch besserte. Rachel Zegler als "Marie" dagegen konnte in ihrer ersten Filmrolle mit ihrer Stimme, die einem zum weinen bringt und ihrer herzlich-offenen Art glänzen. Mike Faist als "Riff" und David Alvarez (einer der jüngsten Tony Award Gewinner) als "Bernardo" stachen als Bandenführer ebenfalls heraus. Einerseits wegen ihre Anführer-Ausstrahlung und ihrer Coolness. Auch Rita Moreno (die EGOT-Preisträgerin hat mittlerweile 90 Jahre auf der Uhr), die in der 1961er Version die "Anita" spielte, bekommt hier eine wichtige und emotionale Rolle.
Der eigentliche Star aber war für mich Ariana DeBose, die "Anita" spielt. Allein mit ihrem Charisma und ihrer puren Energie stahl sie in vielen Szenen allen die Show. Die Ausstrahlung, die Freude, ihre anziehenden Blicke. Das war umwerfend. Auch nach ihrer Golden Globe Prämierung ist sie für mich momentan heiße Anwärterin auf eine Auszeichnung als Beste Nebendarstellerin bei den Oscars.
Glücklich und beseelt
Nach dem Kinobesuch war ich wie verzaubert und musste mich kurz dran gewöhnen, nicht mehr innerlich durch die Straßen New Yorks zu hüpfen. Musicals fand ich immer gut, als Film konnte mich das aber nie ganz packen. Das hat sich im letzten Jahr mit Encanto oder auch tick, tick…BOOM! entscheidend geändert. Auch La La Land habe ich im letzten Jahr das erste Mal gesehen (und dann direkt zweimal), der für mich sogar ein 5/5 Film ist.
West Side Story hat mich trotz des tragischen Endes mit einem warmen Gefühl aus dem Kinosaal entlassen. Die weiten Bilder mit den großen Sets, dem tollen Cast und der Menge an Statisten berauschen die Sinne, die Songs werden von Anfang an spitzenmäßig rübergebracht und insgesamt war das einfach schön anzusehen. Wer Musicals generell mag und mit der leicht theatralische Art und den Tänzen etwas anfangen kann, der sollte sich West Side Story (2021) in jedem Fall anschauen!
Wenn ihr Glück habt, bekommt ihr den Film noch vereinzelnd im Kino zu sehen. Ansonsten kann ich mir gut vorstellen, dass er ähnlich wie andere 20th Century Studios Produktionen (The Last Duel, Free Guy) demnächst auf Disney+ landet.
Schreibe den ersten Kommentar