Ich wurde Zeuge einer Show der Extraklasse, die Solange Knowles eigens für zwei Abende in der Elbphilharmonie in Hamburg kreiert hat. Eigentlich habe ich es gar nicht so mit R&B meets Jazz und Soul. Mittlerweile bin ich aber deutlich offener für neues und meine Hörgewohnheiten haben sich etwas geändert. "Witness! composed and directed by Solange Knowles" in der Elbphi konnte ich mir dann nicht entgehen lassen. Beyoncés kleinere Schwester hat sich mit ihrer Musik und den Themen Feminismus und Empowerment einen Namen gemacht und ist vor allem in der Black Community ein wichtiges Sprachrohr. Dies zeigte sich auch an diesem beeindruckenden Abend, voll musikalischer Extravaganz und künstlerischer Finesse. Eine Feier des Schwarzseins unter vorwiegend weißem Publikum.
Elbphilharmonie Hype
Der Zusatztermin (weitere Show am 17.09.) war nicht ganz ausverkauft, was wohl den nicht ganz günstigen Ticketpreisen (58€-110€) und dem hierzulande nicht unbedingt hohen Bekanntheitsgrad geschuldet ist. Diese Art der Musik findet in Deutschland einfach kaum statt. In der Anfangszeit der Elbphilharmonie wäre sicher auch diese Show ausverkauft gewesen, aber der Hype des Großen Saals flacht ganz langsam ab. Ich habe mich mal für einen Platz der günstigsten Kategorie entschieden, da ich bei meinen sonstigen Besuchen immer sehr gute Plätze hatte. Selbst von weit oben war der Sound unglaublich gut, wenngleich die Sicht auch etwas gedrängt war. Die Bühne hatte man zwar sehr gut im Blick, allerdings nicht die komplette Pracht des großen Saals. Wie viele andere auch habe ich nach drei Songs meinen Sitzplatz gewechselt, da viele Plätze und Reihen weiter unten leerer waren. So waren am Ende des Konzerts die oberen Reihen fast unbesetzt.
Pinke Überraschung
Erst einmal hieß es warten, wie so oft bei Konzerten. Eine ganze Stunde(!) nach dem eigentlichen Beginn war es dann endlich soweit. Ein 23-köpfiges Orchester mit großer Blechbläserfraktion und 6 Tänzerinnen beschritten die Bühne. Die komplette Gruppe war in pinken Overalls gekleidet, was insgesamt ein sehr nettes Bild abgab. Danach passierte fünf Minuten praktisch nichts. Ich weiß nicht, ob die Band nach ihren drei Tuschs einfach auf absolute Ruhe wartete oder was genau los war. Einige fingen im Publikum an zu pfeifen oder riefen schon "Lauter" oder "Zugabe", was ich zutiefst respektlos fand. Immer diese Kulturbanausen. Nach einiger Zeit schritten dann aber 2 Sängerinnen auf die Bühne und Solange selbst folgte auch, allesamt mit pinkfarbenen Kleidern.
Anspruchsvolle Darbietung
Im Vorfeld wusste ich nicht genau, was mich erwarten würde, nur dass Solange ein Händchen für künstlerische Ausgestaltung hat. Ihre Songauswahl am heutigen Abend hat sie eigens auf das Orchester umgeschrieben, was ziemlich gut funktionierte. Dabei war die Show schon sehr anspruchsvoll gestaltet. Ein paar ältere, mutmaßliche Elbphilharmonie-Dauerkarteninhaber sind nach ein paar Songs gegangen und auch das Paar neben mir, das die Karten geschenkt bekommen hat und überhaupt nicht wusste was abgeht, ist früh abgehauen. Einerseits kann ich es verstehen, andererseits auch wieder nicht. Stellenweise war es zwar sehr fragmentiert und ohne klare Linie, aber Solange wird sich dabei schon etwas gedacht haben. Ähnlich war es auch bei den Tanzeinlagen. Die Tänzerinnen schritten auch nur gelegentlich im Hintergrund über die Bühne, bevor sie wieder im Hinterzimmer verschwanden. Es gab kleinere Interludes, Songs endeten abrupt oder gingen nahtlos in den nächsten über. Quasi die perfekte Imperfektion.
Gespielt wurden Songs von Solanges letzten beiden Alben When I Get Home und A Seat at the Table. Ihre Grammy-Single "Cranes In The Sky" durfte natürlich auch nicht fehlen. Zu "F.U.B.U." schritt sie durch die ersten Reihen des Publikums und tanzte mit weiblichen, Schwarzen Gästen. Insgesamt war das eine Symbiose aus Gesang, Orchester, Tanz, politischem Statement und künstlerischer Darbietung. Eine spannende Mischung, die ich textlich gar nicht richtig greifen kann, ebenso wenig wie die Atmosphäre, die an dem Abend herrschte. Es gab auch wohldurchdachten Ausdruckstanz und ja sogar eine kleine Twerking-Einlage, vermutlich eine Premiere in der Elbphilharmonie. Den Schlusspunkt setzte sie mit "Don’t Touch My Hair". Sehr groovy, sehr laut, sehr stark und plötzlich stand praktisch der ganze Saal und tanzte mit. Erlebt man in der Elbphilharmonie wohl auch nicht so oft. Unter tosendem Applaus und Jubelrufen schritt sie von dannen.
Zeichen setzen
Was mir an dem Abend klar geworden ist, wie wichtig Solange in der Black Community ist und wie wichtig dieses Thema allgemein ist. Hierzulande kann man das kaum begreifen oder erfahren, da muss man sich schon in den Vereinigten Staaten umsehen, wo sie ein erhebliches größeres Standing besitzt. Es sind sogar Leute extra von da angereist, nur um diese Show zu erleben und mich würde echt interessieren, woher die Menschen noch überall kamen. Solange wirkte vor allem überaus authentisch und es war einfach ein spannendes Zusammenkommen. Mal ein anderes Konzerterlebnis, bei dem ich aber unglaublich froh bin, ein Teil davon gewesen zu sein.
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