am 08.05.2020 über Atlantic Records / Warner Music veröffentlicht
Hayley Williams. Die Paramore-Frontfrau wandelt auf Solopfaden und hat mit Petals For Armor ein Album veröffentlicht, auf dem sie sich selbst therapiert. Das ganze Projekt fühlt sich wie die Reise durch Hayleys Seelenleben an. Gefühlt gab es bis zur kompletten Veröffentlichung fast jede Woche einen neuen Song mit dem sich Hayley, wie ein aufgehende Blume, ein Stück weiter öffnete. Um all die Zusammenhänge zu verstehen, muss man genauer hinhören und sich mit Hayleys Geschichte auseinandersetzen, aber dann geht es richtig ans Herz. Brillant und teils sehr direkt und ehrlich geschrieben und mit viel Liebe zum Detail produziert, ist Petals for Armor für mich ein unglaublich authentisches und emotionales Gesamtpaket und jetzt schon eines meiner liebsten Musikalben des Jahres.
Von "After Laughter" zu "Petals For Armor"
Wer sich die Lyrics auf Paramores letztem Album After Laughter mal genauer angesehen hat, kann so ungefähr nachvollziehen, wie es um die psychische Verfassung von Hayley Williams stand. Depressionen, Selbstmordgedanken, posttraumatische Belastungsstörungen. Damals verstand sie noch nicht, warum sie sich so fühlte und begab sich in therapeutische Behandlung, um tiefer in sich selbst zu graben. Aus den Sitzungen mit ihrer Therapeutin ist die Idee für Petals For Armor erblüht, um all ihre Erlebnisse und vielleicht nicht gemachten Erfahrungen hin zum Erwachsensein zu verarbeiten.
Für das Album hat sie mit ihren langjährigen Weggefährten und engen Freunden zusammengearbeitet. Gemeinsam mit Paramore-Gitarrist Taylor York hat sie das ganze Album produziert. Paramore-Drummer Zac Farro war ebenfalls mit dabei und hat auf einigen Songs die Drums eingespielt und das Musikvideo zu "Dead Horse" produziert. Und auch Paramores Tour-Musiker Joseph Howard hat mitgeschrieben.
Der Veröffentlichungsweg war im Vergleich zu sonstigen Musikalben eher ungewöhnlich, hat mir aber sehr gut gefallen. Statt der üblichen 3-5 Singles bevor das Album erscheint, besteht Petals For Armor aus drei EPs, die sich nacheinander (veröffentlicht im Februar, April und Mai) zu dem kohäsiven Gesamtkonzept zusammenfügen. So hatte man Zeit sich mit all den Aussagen und Gefühlen der jeweiligen Songs auseinanderzusetzen.
Musikalisch ist es irgendwie Kategorie werden viele Einflüsse Genre-übergreifend eingeflochten, die Hayley in ihrem Leben beeinflusst haben. Das Album versprüht finde ich sehr viele 80s-Vibes (Stichwort Baselines). Manche Songs klingen mal nach Radiohead, mal nach Björk. "Dead Horse" könnte auch ein After Laughter Song sein und "Sugar on the Rim" ist vielleicht der beste Madonna Song seit Jahren. Das Album wurde mit sehr viel Liebe produziert und das hört man auch. Stimmlich zeigt Hayley sich von verschiedensten Seiten und es ist einfach eine Wohltat sie durch das Album zu begleiten.
Zurück ins Leben
Man könnte sagen durchläuft Hayley auf dem Album inhaltlich drei Phasen. Am Anfang steht die Wut: "Rage is a quiet thing" (erste Zeile auf "Simmer"). Danach folgen Akzeptanz und Wiedergeburt. Sie stellt sich ihren Ängsten und lernt mit ihnen zu tanzen, was man sehr schön im Video zu "Cinnamon" miterleben kann. Ehrlichkeit und Authentizität stehen besonders im Vordergrund. Zeilen wie "'Cause now that I want to live Well, everybody around me is dying" ("Leave It Alone") schlagen dabei schon sehr in die Magengrube. "Sudden Desire" ist ein Song über die Lust auf jemanden, die man nicht fühlen sollte. Das kann glaube ich jeder irgendwie nachvollziehen. "Dead Horse" behandelt Verrat und all das, was 2017 zur Trennung von ihrem damaligen Mann führte.
Mit "Over Yet", für das auch ein Workout-Video erschienen ist, versucht sie Menschen Mut zu machen, sich nicht aufzugeben, sondern den Widerstand zu überwinden. Für "Roses/Lotus/Violet/Iris" hat sie sich für die Hintergrundstimmen die fantastische Supergroup boygenius (Julien Baker, Phoebe Bridgers, and Lucy Dacus) mit ins Boot geholt und behandelt weibliches Empowernment.
"Why We Ever" blickt auf eine vergangene Beziehung zurück und fragt, wieso diese eigentlich enden musste, warum die Dinge jetzt anders sind und was die Person wohl gerade vorhat. Vor allem der zweite Part mit dem knarrenden Piano und Zeilen wie "Tried to keep myself from hurting, I don’t know why anymore" sorgten bei mir für Gänsehaut. Hayley hat das Lied im Dezember 2018 an einem Tiefpunkt geschrieben. Sie lernte schlechte Gewohnheitsmuster zu erkennen und daraus zu erwachsen. Auch "Pure Love" beschäftigt sich mit Ängsten und sie sagt zu sich selbst, dass sie sich öffnen und auch von ihrer verletzlichen Seite zeigen muss, wenn sie echte Liebe spüren will.
Einen der besten Songs hat sie sich für ganz zum Schluss aufgehoben. "Crystal Clear" beschreibt Hayleys Bereitschaft weiterzumachen und sich nicht ihren Ängsten hinzugeben. Kleiner Fakt am Rande: Im Outro ist der Liebessong "Friends or Lovers" von Hayleys Großvater mit verarbeitet, den er immer am Klavier gespielt und für Hayley seit frühsten Tagen sehr wichtig ist.
Neubeginn
Hayley Williams blüht ("blooming"-Metapher in einigen Songs) im Verlaufe des Albums regelrecht auf und zeigt sich von ihrer verletzlichen Seite. Sie hat gelernt mit ihren Ängsten zu tanzen, wieder aufzustehen, sich wieder für Liebe und das Leben selbst zu öffnen und sie fühlt sich nun "wohl in der Unbequemlichkeit des Wachstums".
In erster Linie hat sie das Album natürlich für sich selbst geschrieben. Aber ich glaube sie möchte den Menschen, vor allem in den jetzigen schweren Zeit auch Mut machen. Mut machen sich seinen Ängsten zu stellen, Dinge zu wagen, sich auf Widerstand einzulassen, sich zu öffnen. Man kann sehr viel aus ihrer Geschichte, den Interviews und dem Album für sich persönlich lernen und ich bin verdammt froh, dass sie all die Intimität mit uns geteilt hat. Danke, Hayley. <3
Weiterführende Links zu "Petals For Armor"
Wer noch mehr über Hayley Williams und ihr Projekt Petals For Armor erfahren möchte, dem habe ich hier mal ein paar Links eingefügt. Vor allem die Interviews mit Zane Lowe sind fantastisch. Er ist vielleicht einer der einfühlsamsten Interviewer, die es im Musikbusiness gibt. Seine beiden Gespräche (das zweite gibt es bisher eigentlich nur bei Apple Music, aber bei YouTube findet man es auch) mit Hayley Williams fühlen sich beinahe an wie Therapiestunden, ohne dass Zane Lowe mehr preisgibt als sie möchte.
- Petals For Amor Albumlink (lnk.to)
- Lyrics zum Album (Genius.com)
- Hayley Williams Breaks Down Every Song on Her Deeply Personal Solo Album, Petals for Armor (Pitchfork.com)
- How Hayley Williams Saved Herself (and, BTW, Paramore) (NYTimes.com)
Depressionshilfe
Da mir das Thema sehr wichtig ist, hier noch einmal der Hinweis, dass man Sorgen teilen kann. Leichter gesagt als getan, ich weiß, aber es hilft! Vertraut euch euren liebsten Verwandten oder Freunden an. Auf den Seiten der Deutschen-Depressionshilfe findet ihr vielerlei Informationen rund um das Thema Depression. Auch bei der Telefonseelsorge kann euch zumindest anfänglich geholfen werden. Das Wichtigste: Ihr seid mit eurer Krankheit nicht allein. Man ist für Euch da. Ich bin für Euch da. <3
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