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"The end is here": Phoebe Bridgers live in Hamburg (29.06.2022)

Es hat viel zu lange gedauert, bis ich die US-amerikanische Indie-Musikerin Phoebe Bridgers endlich einmal live sehen durfte. Schon ihr Debütalbum Stranger in the Alps hat mich mit ihrer himmlischen Stimme und den direkten, emotionalen Erzählungen tief berührt. Auch ihr Nachfolgewerk Punisher gehörte 2020 mit zu meinen liebsten Alben des Jahres. Ihre Reunion-Tour führte sie zunächst durch Amerika, bis sie auf dem europäischen Festland auch beim ausverkauften Konzert in der Fabrik in Hamburg-Altona Halt machte. Ein Abend, der emotional in alle Richtungen strahlte.

Support: Harrison Whitford

Harrison Whitford, seines Zeichens Gitarrist von Phoebe Bridgers, durfte den Abend mit Gitarre und einigen seiner Songs eröffnen. Musikalisch ein passender Einstieg. Ich habe schon viel zu oft erlebt, dass bei so ruhigen Voracts die Menschen in Quassellaune sind. Hier hielt es sich aber in Grenzen und viele lauschten gebannt der beruhigenden Stimme und den meist herzlichen Lyrics.

Harrison Whitford - Afraid of Nothing - Back In The Garage

Phoebe Bridgers, die umtriebige Musikerin

Phoebe Bridgers ist eine ganz schön umtriebige Musikerin. Schon früh fing sie an eigene Songs zu schreiben. In der High School studierte sie Jazzgesang, wurde danach sogar am renommierten Berklee College angenommen, hat dies aber zugunsten ihrer Musikkarriere ausgeschlagen. Sie war Teil der Punkband Sloppy Jane (nun auch Teil von Phoebes eigenem Musiklabel Saddest Factory Records), konnte sich als Solokünstlerin beweisen und hat mit Julien Baker und Lucy Dacus die Band boygenius und mit Conor Oberst Better Oblivion Community Center gegründet. Weiterhin gab es diverse Features ("The Night We Met" von Lord Huron dürftet ihr sogar kennen (Achtung Tränengefahr)) und ein paar Gastauftritte (bei Hayley Williams, The 1975, Lorde).

Lockere Atmosphäre

Aus den Boxen dröhnte (mit einem kleinen Augenzwinkern) "Down With the Sickness" von Disturbed und mit ihrer Begleitband, bestehend aus fünf Musiker:innen im Skelett-Jumpsuit, betrat sie unter lauten Jubelschreien die Bühne. Das Publikum hat mich von Anfang an überrascht. Vor allem in den vorderen Reihen waren viele junge Menschen zu sehen und hören (ist sie eigentlich groß bei TikTok?), die bestimmt einige Stunden vorher angestanden haben, um ihrem Idol ganz nah zu sein. Phoebes Songs und Ansagen wurden allesamt mit Jubelrufen bedacht und die allgemeine Textsicherheit war beeindruckend.

Eine dieser Ansagen richtete sich gegen das Urteil des Supreme Courts in den USA zum Abreibungsrecht. Sie selbst hatte im vergangenen Jahr eine Abtreibung, die unkompliziert ablief, was sie sich für alle wünscht: "Ich ging zu Planned Parenthood, wo man mir die Abtreibungspille gab. Das war ganz einfach. Diese Art von Zugang hat jeder verdient." Sie zählte auch eine Reihe an Organisationen auf, die sich für Frauenrechte engagieren und bat um Spenden. Es gab ein paar Anekdoten aus früheren Tagen zu hören, ein Bandmitglied hatte sogar schon einmal in der Venue gespielt und ihr Drummer und Ex Marshall Vore durfte sich auch beteiligen. Eine insgesamt lockere Atmosphäre. Es wurde viel gewitzelt, zwischendrin mal hoffnungsvolle, mal todtraurige Songs gespielt und am Ende alles hinaus in die Welt geschrien.

Ein Set zum Niederknien

Der Hauptteil des 90-minütigen Sets bestand aus ihrem Grammy-nominierten zweiten Album Punisher, welches genau in der selben Reihenfolge gespielt wurde, mit ein paar eingestreuten Songs ihres ersten Albums sowie ihrer neuen Single "Sidelines". Viele ihrer Songs haben eine schwelgerische Atmosphäre, in der man sich total verlieren kann. Einige wurden bis zum Crescendo erweitert.

Als wären ihr lieblicher Gesang und die spannenden Melodien nicht schon genug, schreibt Phoebe auch noch wundervoll ehrliche Texte. Sie schafft es aufs Leichteste Momente lyrisch einzufangen und damit Bilder in den Köpfen der Zuhörenden zu kreieren. Mal mit einer gewissen Portion Humor, mal mit fast brutaler Härte. Zitierfähige Zeilen findet ihr in ihren Texten zuhauf und es ist super spannend sich tiefergehend mit ihrem Material zu beschäftigen. Sie zeigt sich oft verletzlich und eine sanfte Melancholie durchzieht ihre Musik. Man muss vielleicht in einer gewissen Stimmung sein, die sich für ihre Musik so auch nicht erklären lässt. Alle die ihre Musik fühlen, können mich sicher verstehen.

Phoebe Bridgers Live at Red Rocks Unpaused (9/1/2020) #visibleXredrocks

Der ganze Mittelteil des Konzerts hatte für mich dieses Gefühl und hat mich so richtig eingesogen. "Smoke Signals", "Funeral", "Chinese Satellite" (der Flow des Songs ist sooo gut), "Moon Song", "Scott Street". Ich wusste gar nicht wohin mit meinen Emotionen. "Funeral" war heftig, da gab es auch ein paar Tränen. Der Sound war klar, die Band war gut drauf und ihr Trompeter JJ Kirkpatrick wertete den Liveauftritt noch einmal auf und unterstrich mit seinem Instrument die träumerische Atmosphäre.

Das Ende

Vor dem großen Finale wurde es mit „Graceland Too“ noch einmal ruhig und tief emotional, bevor es dann krachend endete. Gibt es einen besseren Song, um ein Konzert enden zu lassen als "I Know The End" ("Knights of Cydonia" von Muse vielleicht)? Der gesamte Aufbau des Songs bis zur Katharsis und dem unkontrollierten Freiwerden all der Emotionen, die sich im Laufe des Abends aufgebaut haben. So muss ein Konzert enden.

Phoebe Bridgers - I Know the End (Official Video)

Als Zugabe trat Phoebe dann noch einmal alleine auf die Bühne. Eine Dame im Publikum war auch schon tags zuvor beim Konzert in Frankfurt dabei (ziemlich zum Start des Konzerts fragte sie schon einmal, wer schon gestern da war und dass diese Person nun leider das gleiche Set nochmal bekommt) und durfte sich die Zugabe aussuchen. "Waiting Room" war die Wahl (hätte mich auch sehr über "Georgia" gefreut), die Phoebe dann auch mit ihrer Gitarre vorführte. Ein letztes Grinsen und Winken zum Publikum und sie schritt von dannen. Das Ende war gekommen.

Setlist: Phoebe Bridgers live in der Fabrik, Hamburg (29.06.2022)

  1. Motion Sickness
  2. DVD Menu
  3. Garden Song
  4. Kyoto
  5. Punisher
  6. Halloween
  7. Smoke Signals
  8. Funeral
  9. Chinese Satellite
  10. Moon Song
  11. Scott Street
  12. Savior Complex
  13. ICU
  14. Sidelines
  15. Graceland Too
  16. I Know the End
  17. Waiting Room

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Veröffentlicht inKonzerteMusik

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